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Widersprüche beim Betreiben eines gemeinschafts- und bildungs-orientierten Sex-Shops

Wie kann ein gemeinnütziger Verein einen Sexshop betreiben, der Gewinne erwirtschaftet? Kann ein Unternehmen wirklich das Ziel haben, "gemeinschaftsorientiert" zu sein und bestimmte kapitalistische Logiken abzulehnen? Weil wir finden, dass es möglich - wenn auch nicht einfach - ist, sich diesen Widersprüchen zu stellen, haben wir 2021 Other Nature in ein Arbeiter:innen-Kollektiv umgewandelt. Indem wir hier unsere Finanzstruktur beleuchten und transparent machen, was in unsere Preisentscheidungen einfließt, möchten wir Dir einen Einblick geben, was Du mit Deinem Geld unterstützt, wenn Du bei uns kaufst.

Seien wir ehrlich:

Hochwertige, körperverträgliche Sexspielzeuge sind oft teuer und für viele unerreichbar. Das betrifft vor allem diejenigen in unseren Communities, deren Lust und Sexualität wir in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen wollen - Menschen mit niedrigem Einkommen, Migrant:innen, Behinderte, Schwarze Menschen oder People of Color.

Die Umverteilung von Reichtum und Ressourcen, um Gruppen mit weniger Ressourcen mehr Zugang zu ermöglichen, ist ein grundlegender Aspekt unserer Entscheidungsprozesse. Wir streben danach, eine Reihe von Produkten zu führen, die vergleichbare Erfahrungen zu unterschiedlichen Preisen bieten, ohne unsere Werte zu vernachlässigen.

Wann immer es möglich ist, bevorzugen wir Produkte von kleinen Unternehmen, Hersteller:innen aus unseren Communities und lokale Kunsthandwerker:innen. Wir organisieren den Gender-Ex Fonds, um genderaffirmative Produkte kostenlos (oder gegen eine kleine Spende) für Migrant:innen, BIPoC, Behinderte oder Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung zu stellen. Wir unterstützen regelmäßig Community-Veranstaltungen und -Gruppen mit Produktspenden und haben eine gestaffelte Preisskala für unsere Workshops. Seit Sommer 2023 bieten wir auch ein solidarisches Preissystem an, von dem wir hoffen, dass es ein weiterer Schritt ist, um unsere Produkte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Welche Faktoren spielen bei unseren Preisentscheidungen eine Rolle?

Die meisten Menschen wissen nicht, wie Einzelhandelspreise berechnet werden, und das aus gutem Grund: Das kapitalistische System funktioniert, indem es soziale und wirtschaftliche Faktoren und Entscheidungen verschleiert und sie als Naturgesetze erscheinen lässt, auf die wir keinen Einfluss haben. Im Sinne der Transparenz und als Geste gegen diese Logik möchten wir etwas mehr über unsere wirtschaftliche Arbeitsweise verraten und darüber, was es bedeutet, ein bildungs- und gemeinschaftsorientiertes Unternehmen zu führen.

Seit der Gründung im Jahr 2011 ist Other Nature stolz darauf, "Anders als andere Sex Shops" zu sein. Der Kern unserer Arbeit, die Beratung, die wir jeden Tag im Laden anbieten, ist und bleibt kostenlos. Wir setzen unsere Kund:innen nie unter Druck, einen Kauf zu tätigen, auch wenn wir uns viel Zeit für ihre Fragen nehmen. Das bedeutet, dass unsere Beratungen Arbeitszeit sind, in der wir nicht direkt Geld verdienen. Unser Überleben als Organisation hängt jedoch davon ab, dass wir eine Gewinnspanne erzielen, die unsere Ausgaben deckt. Wenn die Großhandelspreise und die laufenden Kosten steigen, müssen wir unsere Preise anpassen, um uns selbst zu erhalten. Letztlich sind wir an einen Markt gebunden, und unser Geschäft ist der Endpunkt eines komplexen Wechselspiels, bei dem schwankende Rohstoffpreise, gewinnorientierte Hersteller:innen, Wettbewerb, Arbeitskämpfe und Normen den Preis bestimmen, zu dem wir unsere Produkte kaufen.

Im Großteil unserer Einzelhandelspreise sind 19% Mehrwertsteuer enthalten (in einigen, selteneren Fällen sind es 7%). Das ist Geld, das an den Staat geht - wenn ein Produkt z.B. 89,90 € kostet, beträgt die Mehrwertsteuer 14,35 €. Manchmal müssen auch zusätzliche Gebühren, wie z. B. Einfuhrsteuern, mit berücksichtigt werden. Von dem verbleibenden Betrag machen die Produktkosten in der Regel die Hälfte aus. Im Durchschnitt verbleiben also etwa 30-40 % dessen, was du für ein Produkt ausgibst, für uns, um unsere Rechnungen zu bezahlen. Da wir sowohl ein stationäres Geschäft als auch einen Online-Shop betreiben, sind unsere monatlichen Ausgaben vergleichbar hoch. Wir müssen Gehälter, Miete, Versicherungen, Gewerbesteuern, laufende Kosten, Versand, Verpackung, Renovierung, undsoweiterundsofort… einkalkulieren.

Als queeres, mehrheitlich trans/nicht-binäres und BIPoC-Arbeiter:innen-Kollektiv zielen wir darauf ab, feste, sichere und entlohnte Arbeitsplätze für Menschen in Communities zu schaffen, die es schwerer haben, Arbeitsräume zu finden, in denen wir uns mit unserem ganzen Selbst einbringen können. Wir sind alle fest angestellt und erhalten volle Sozialleistungen, gleichen Überstunden aus und tun unser Bestes, um uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns nicht zu überarbeiten. Wichtig ist, dass alle im Team den gleichen Stundenlohn erhalten, unabhängig von ihren Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Dennoch ist unser Verdienst sehr niedrig, und für viele von uns wird es immer schwieriger, unser Leben ohne zusätzliche Einkommensquellen zu finanzieren. Zurzeit zahlen wir uns selbst etwas mehr als den Mindestlohn. Nachdem dies in den letzten Jahren nicht möglich war, arbeiten wir nun langsam daran, diesen Aspekt unserer Arbeitsbedingungen zu verbessern, um unser Team langfristig besser unterstützen zu können.

Was passiert, wenn dann noch Geld übrig ist?

Als wir das Unternehmen 2021 übernommen haben, haben wir beschlossen, dass wir keine einzelnen Gesellschafter:innen haben wollen, sondern haben einen gemeinnützigen Verein gegründet, das ON Kollektiv e.V., dem 100 % des Unternehmens gehören. Uns stand nicht genügend privates Kapital zur Verfügung, um die Übernahme zu finanzieren, und wir wollten uns nicht auf Bankkredite verlassen oder das Geld per Crowdfunding beschaffen, was wir als unnötigen Entzug knapper Ressourcen aus unseren Gemeinschaften empfanden. Stattdessen folgten wir dem Genossenschaftsmodell und nahmen Privatkredite, sogenannte "Direktkredite", von Freund:innen, Familie und anderen Mitgliedern unseres Netzwerks auf.

Das ist ein großartiges Modell, da alle ihr Geld irgendwann zurückbekommen, aber der Erfolg hängt davon ab, dass wir mehr Geld erwirtschaften als für die bloße Unterhaltung des Betriebs notwendig ist, bis wir die Kredite abbezahlt haben. Danach können alle Gewinne, die wir erzielen, wieder in den Laden fließen, unsere Bildungsprogramme ausbauen und weitere Gemeinschaftsprojekte unterstützen. Darüber hinaus haben wir in der Gründungssatzung unseres Kollektivs festgelegt, dass, falls wir uns jemals dazu entschließen sollten, das Geschäft zu verkaufen, 100 % der daraus resultierenden Gewinne an andere Organisationen gehen, die unseren Grundwerten entsprechen.

All dies ist nur dank unserer großartigen Kund:innen (wie Dir!) möglich. Vielen Dank, dass Du unsere Mission unterstützt, Sexspielzeug, genderaffirmative Produkte und Sexualaufklärung immer zugänglicher zu machen, indem Du weiterhin bei uns einkaufst oder unseren kleinen Laden weiterempfiehlst! Wir hoffen, dass diese Informationen dazu beigetragen haben, unsere Entscheidungsfindung in Bezug auf die Preisgestaltung zu entmystifizieren und unsere internen Finanzierungsprozesse transparenter zu gestalten. Wenn Du irgendwelche Fragen hast, zögere bitte nicht, uns zu kontaktieren und wir werden unser Bestes tun, um Dir zu antworten!

Dein Other Nature Team & ON Kollektiv e.V.

PS: Wenn Du etwas Geld übrig hast

...und uns dabei unterstützen möchtest, gender-affirmative Produkte und Sexualaufklärung für noch mehr Menschen zugänglich zu machen, kannst Du auch direkt an unseren gemeinnützigen Verein ON Kollektiv e.V. spenden (Spendenquittungen für Steuerabzug möglich) oder den Gender-Ex Fonds unterstützen.